KI als Impulsgeber für neue Wissensarbeit. Ein Interview mit unserem Experten Stefan Holtel

KI als Impulsgeber für neue Wissensarbeit. Ein Interview mit unserem Experten Stefan Holtel

Denken auf Vorrat: Wie KI die Wissensarbeit transformiert

Wissen war schon immer ein zentraler Rohstoff der Arbeitswelt – doch mit dem digitalen Wandel verändert sich nicht nur seine Form, sondern auch sein Fluss. Generative KI-Systeme wie ChatGPT fordern bestehende Routinen heraus: Was gestern noch Expertise war, wird heute neu verhandelt – zwischen Mensch und Maschine.

"Wissensmanagement bedeutet heute nicht mehr nur Informationsarchivierung, sondern vor allem: Sinn stiften, Orientierung geben, Perspektiven verbinden."

Stefan Holtel ist Dozent für KI und Wissensarbeit am Institut für Kommunikation und Führung (IKF) und begleitet Fach- und Führungskräfte im digitalen Wandel. Als früherer Computer-Nerd, Forscher und heutiger Kurator sieht er Technologie nicht nur als Werkzeug, sondern als Impulsgeber für neue Denk- und Handlungsmuster. Besonders bewegend findet er jene Momente, in denen Menschen den Mut finden, vertraute Grenzen zu überschreiten. Für ihn beginnt echter Wandel dort, wo Klarheit, Selbstvertrauen und Neugier aufeinandertreffen.

"Die Technik ist selten das eigentliche Problem – und noch seltener die alleinige Lösung. Was den technologischen Wandel ausbremst, sind Ängste, Routinen oder Machtstrukturen innerhalb von Organisationen."

Nicht nur ein Werkzeug: Warum KI unser Denken verändert

Im Interview erzählt uns Stefan Holtel, was ihn an der Arbeit als Dozent begeistert – und wie KI zum Werkzeug wird, um gemeinsam Neugier und Selbstvertrauen zu entwickeln.

Stefan, du bist aktuell tätig als Kurator im digitalen Wandel. Welche übergeordnete Vision leitet dein Engagement in diesem Bereich?
 

Stefan: Mich fasziniert, wie technologische Entwicklungen die Welt immer wieder grundlegend verändern – und wie wir Menschen uns dabei jedes Mal neu zur Technik ins Verhältnis setzen müssen. Heute stehen wir erneut an so einem Kipppunkt: Die breite Verfügbarkeit von Chatbots und generativer KI verändert gerade unser Verhältnis zum Denken selbst. Meine Vision ist es, Menschen und Organisationen auf diesem Weg zu begleiten – dabei zu helfen, blinde Flecken zu erkennen und alte – oft unbewusste – Denkmuster zu hinterfragen, die heute nicht mehr tragen. Nur wenn wir diese inneren Selbstverständlichkeiten ins Bewusstsein holen, können wir uns wirklich einstellen – nicht nur auf neue Technologien, sondern auf die Art und Weise, wie wir als Gesellschaft damit leben wollen.

Auch in deiner Rolle als Dozent am IKF begleitest du Menschen im digitalen Wandel. Was fasziniert dich an dieser Tätigkeit?
 

Stefan: In meinen Kursen liebe ich vor allem jene Momente, in denen die Teilnehmenden innehalten – ganz im Sinne von Descartes: „Ich erkenne, wie ich denke – und dass ich es verändern kann.“ Diese kurzen Augenblicke der Erkenntnis, in denen sich gedankliche Horizonte weiten, finde ich magisch. Denn die eröffnen nicht nur neue Einsichten, sondern auch die Möglichkeit, Menschen und Organisationen auf nachhaltige Weise zu verändern.

Und das gilt nicht nur für die Lernenden. Ich selbst lerne kontinuierlich – aus Perspektiven und Lebensrealitäten, die mir zuvor fremd waren, aus Berufsfeldern, die ich nie selbst erlebt habe und nie erleben werde. Gerade dadurch werde ich gezwungen, mich mit Sichtweisen auseinanderzusetzen, die mir sonst verborgen geblieben wären. Das empfinde ich als grosses Geschenk.

KI in der Wissensarbeit


Ganz neu gibt es einen Kurzkurs zum Thema KI in der Wissensarbeit. Wie ist die Idee für diesen Kurs entstanden und an wen richtet sich der Kurzkurs?
 

Stefan: Der Kurs KI in der Wissensarbeit zeigt neuartige Ansätze zum tatsächlichen Nutzwert von Chatbots. Es geht mir nicht um die nächste Liste nach dem Muster „Die 100 besten Prompts für den Einstieg in ChatGPT“. Von denen gibt es bereits genug – und sie wiederholen sich endlos und greifen alle zu kurz. Denn niemand kann sinnvoll prompten, wenn er mit Chatbots nach Fastfood-Rezepten kocht.

"Erfolgreiche Nutzung von ChatGPT beginnt nicht mit Technik, sondern mit einer Neuverortung der eigenen Wissensarbeit. In Anlehnung an Karl Marx würde ich sagen: Ich stelle das bisher geteilte Verständnis von Prompting vom Kopf auf die Füsse."

Stefan Holtel


Der Kurs richtet sich an alle, die spüren: Da kommt etwas Grosses auf mich zu – aber bisher hat mich niemand darauf vorbereitet. Besonders Menschen, die mit Sprache, Wissen oder Entscheidungen arbeiten, fühlen sich durch KI heute nicht etwa unterstützt, sondern mental herausgefordert. Ich zeige, wie man dieser Herausforderung mit Respekt, aber ohne Angst begegnet – und wie man sich souverän und reflektiert für das neue Zeitalter der Chatbots aufstellt.

Warum ist das Thema künstliche Intelligenz in der Wissensarbeit gerade jetzt so relevant?
 

Stefan: Das überraschende Auftauchen leistungsfähiger Chatbots wie ChatGPT markiert einen echten Wendepunkt – das nächste Kapitel für die Wissensarbeit. Plötzlich stehen technische Fähigkeiten zur Verfügung, die Forscher zwar seit Jahrzehnten vorausgesagt hatten, und die plötzlich aus dem Nichts Realität wurden. 

Was mich heute aber weit mehr fasziniert als die Technik selbst, ist der tiefgreifende Wandel in der Art, wie wir mit Computern interagieren. Viele glauben noch immer, Chatbots müsse man wie klassische Software bedienen – mit klaren Befehlen, möglichst effizient und strukturiert. Doch damit haben wir gerade mal die Tür geöffnet zu einem Raum ungeahnter Möglichkeiten. Tatsächlich müssen wir lernen, mit Maschinen zu sprechen, nicht zu ihnen. Das ist ein kultureller Umbruch, dessen Tragweite wir gerade erst beginnen zu erfassen – und der viele überfordert. Denn wir sind geprägt von alten Computermetaphern: Datei, Klick, Menü, Befehl. Aber die Interaktion mit KI erfordert ein anderes Verständnis von Dialog, Ambiguität, Kontextsensibilität. Diese neue Denkweise ist noch längst nicht in der Praxis angekommen – aber sie wird die Wissensarbeit grundlegend verändern.

Wer sollte sich heute besonders intensiv mit dem Thema KI beschäftigen, und warum?
 

Stefan: Ganz ehrlich: Wahrscheinlich gibt es niemanden in der Wissensarbeit, der sich in den kommenden Jahren dem Sog von KI-gestützten Chatbots entziehen kann. Diese Technologie wird früher oder später jeden Arbeitsplatz in irgendeiner Form erfassen – ob wir wollen oder nicht.

Ich vergleiche Chatbots gern mit der Einführung der Tabellenkalkulation: Vor rund 30 Jahren galt Excel noch als Spezialwerkzeug für Experten. Heute verlangen rund 80% aller Stellenausschreibungen ganz selbstverständlich Excel-Kenntnisse. Genau dasselbe wird in naher Zukunft für Werkzeuge wie ChatGPT gelten – und zwar verbunden mit den dafür nötigen Voraussetzungen: Sprachsensibilität und Fähigkeiten, Probleme tatsächlich zu erkennen und zu verstehen. Deshalb sollten sich gerade jetzt all jene intensiv mit KI auseinandersetzen, die in wissensintensiven Rollen tätig sind – sei es in Führung, Beratung, Bildung, Kommunikation oder Innovation. Wer früh versteht, welches Potenzial in diesen Werkzeugen steckt, kann nicht nur Schritt halten, sondern deren Einsatz aktiv und verantwortungsvoll mitgestalten.

Unsere Weiterbildungsformate zum Thema

CAS Wissensmanagement & Organisationales Lernen

Unternehmen auf dem Weg zur lernenden Organisation begleiten

Start: 14.11.2025

KI in der Wissensarbeit

Persönliche Wissensarbeit mit Chatbots neu denken: So wird der Job zukunftsfähig

Start: 02.09.2025

Sprachkompetenz als Zukunftskompetenz


Welche Kompetenzen sind entscheidend, um den digitalen Wandel aktiv mitzugestalten - insbesondere im Spannungsfeld zwischen Technologie und Menschlichkeit?
 

Stefan: Zu den meistunterschätzten Zukunftskompetenzen gehören Fähigkeiten wie Sprachkompetenz, kritisches Denken und Kreativität. Überraschenderweise wird jetzt ChatGPT zum „Lackmustest“ dafür: Gutes Prompting verlangt Sprachgefühl, Ausdrucksstärke und die Fähigkeit, komplexe Sachverhalte differenziert zu durchdenken und in Sprache zu überführen. Die Interaktion mit KI ist kein technisches Tastendrücken – sie ist ein Spiegel unseres Denkens. Und deshalb gilt, um es mit Wittgenstein zu sagen: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“

Mit welchem Eindruck wünscht du dir, dass deine Kursteilnehmenden deinen Kurstag verlassen?
 

Stefan: Ich wünsche mir, dass die Teilnehmenden am Ende des Tages mit einem klaren Gefühl nach Hause gehen: „Ich habe keine Angst mehr vor KI – ich habe einen gangbaren, plausiblen Weg kennengelernt, wie ich sie sinnvoll für meine Arbeit nutzen kann.“ Es geht mir nicht nur darum, Wissen zu vermitteln – sondern vor allem darum, Neugier zu wecken, Selbstvertrauen zu stärken und Lust auf die Anwendung zu erzeugen. 

"Mein Anspruch ist: Niemand verlässt den virtuellen Raum nur mit vagen Hoffnungen, sondern mit handfesten Aha-Momenten und dem Impuls: 'Das probiere ich gleich morgen aus.' Echter Wandel entsteht nicht im Verstehen allein, sondern im Mut zum Experiment der Umsetzung."

Stefan Holtel


Die Wissensarbeit steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Nicht weil wir die Zukunft plötzlich voraussehen könnten, sondern weil wir besser darin werden, mit dem Ungewissen umzugehen. Künstliche Intelligenz beschleunigt nicht nur das Verarbeiten von Wissen, sie verändert auch, wie wir über Zukunft nachdenken. Sie macht das Denken über mögliche Zukünfte schneller, zugänglicher und inklusiver. 

Werkzeuge wie die Szenariotechnik, gestützt durch KI-Chatbots, ermöglichen heute ein Denken auf Vorrat, das weit über lineare Planungen hinausgeht. Statt wochenlanger Entwicklung von Szenarien entstehen heute in wenigen Stunden oder gar Minuten komplexe Zukünfte, die diskutiert, weitergedacht und strategisch genutzt werden können. KI-gestützte Szenarien schaffen so nicht nur neue Perspektiven, sondern fördern eine Kultur geistiger Beweglichkeit. Zukunft wird zur gemeinsamen Gestaltungsaufgabe – nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer Ungewissheit.

 

"Die Geschwindigkeit, mit der wir heute Szenarien entwickeln, diskutieren und weiterdenken können, demokratisiert die Strategiearbeit – tatsächlich macht sie Zukunftsgestaltung für viele zum ersten Mal zugänglich."